Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus
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Paul O'Montis

Chansonnier

Paul O'Montis wird am 3.4.1894 in Budapest als Paul Wendel geboren. Er ist evangelisch und wächst in Hannover auf. Für das im Internet kursierende Gerücht, er habe jüdische Vorfahren gehabt, gibt es keine Belege. Kurz: über seine Herkunft und Jugend gibt es nur wenige gesicherte Erkenntnisse. Und obwohl O’Montis später, zumindest in Berlin, ein wirklicher Star ist, der über siebzig Schallplatten veröffentlicht, wissen wir auch über sein restliches Leben nicht viel.

Das wenige, was über O’Montis bekannt ist, betrifft vor allem sein öffentliches Leben. Etwa seine Auftritte im renommierten „Charlott-Casino“ am Kurfürstendamm, an der Seite von berühmten Kollegen wie Paul Graetz und Kurt Gerron. Die Hauswerbung des Charlott-Casinos preist ihn damals als „Heros des Chansons“. Der Kabarettkritiker Max Hermann-Neiße lobt ihn etwas weniger heroisierend für „pikante Chansons und seine sicher abwägende Technik“. O’Montis ist ein Unterhaltungskünstler im wahrsten Sinne des Wortes. Was ihn jedoch auszeichnet vor den Plattheiten vieler Kollegen sind Witz und Selbstironie. „Paul O’ Montis hat die Technik, die banalsten Modechansons so zu bringen, dass sie auch anspruchsvolleren Menschen Spaß machen, weil er, über ihnen stehend, sie schon gleich launig persifliert“, schreibt Hermann-Neiße am 15.6.1926 im Berliner Tageblatt.

Bekannt ist Paul O’ Montis für seine zweideutigen und anzüglichen Texte. Alles dreht sich um das Thema

Paul O'Montis

Werbepostkarte von Paul O'Montis
Bildquelle: Musik Antik am Weidenstieg, Hamburg

Nummer eins, die Liebe. Die Texte sind gespickt mit sexuellen Anspielungen. Und auch mit seiner Homosexualität kokettiert O’Montis auf der Bühne gerne. Zum Beispiel beim Vortrag der Parodie „Ramona Zündloch“, einer „Ballade aus dem Großstadtsumpf“. O’Montis leitet sie mit einem theatralischen Wink zu seinem Pianisten ein: „Beginne, Knabe“! Und im Stück „Was hast du für Gefühle, Moritz?“ fragt er: „Sind es kühle oder schwüle, Moritz?“ Zwei seiner Lieder, die er 1928 aufnimmt, fallen aus dem Rahmen. In „Kaddisch“ und „Ghetto“ geht es um Not und Vertreibung einer jüdischen Familie in Polen.

Not und Vertreibung kennzeichnen auch bald Paul O’Montis Leben. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernehmen, hat er den Zenit seiner Karriere bereits überschritten. Die Berliner Szene scheint seiner „allzu oft gehörten Bravourstücke“ überdrüssig, die Wirtschaftskrise lässt den Absatz seiner Schallplatten einbrechen. Im Oktober 1933 tritt er noch einmal bei den Scala-Festspielen auf. Den Nazis ist diese Veranstaltung schon lange ein Dorn im Auge. Als „Festspiele der anrüchigen Figuren“ verunglimpft sie Joseph Goebbels. Ende 1933 zieht Paul O’Montis die Konsequenzen und emigriert nach Wien. 1935 wird er in Deutschland offiziell mit einem Auftrittsverbot belegt.

Im Wiener Exil wird es ihm ähnlich ergangen sein wie den meisten deutschen Emigranten. Ihrer Heimat und ihrer Besitztümer beraubt, bei ihrer Arbeit auf die deutsche Sprache angewiesen, versuchen sie sich im austrofaschistischen Staat mehr schlecht als recht über Wasser zu halten. Paul O’Montis hat bisweilen Engagements im Ronacher Varieté und am Wiener Volkstheater, auch in der Schweiz und den Niederlanden tritt er auf. Eine Schallplatte kann er noch veröffentlichen.

Als Österreich im Jahr 1938 seinen Anschluss an das „Dritte Reich“ feiert, flieht Paul O’Montis nach Prag. Der Fügnerplatz 6 ist seine letzte amtlich verzeichnete Adresse. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch deutsche Truppen im März 1939 gerät O’Montis in die Fänge der Nationalsozialisten. Er wird verhaftet und nach Zabgreb, später nach Lodz verschleppt. Über die Hintergründe dieser Irrfahrt ist ebenso wenig bekannt wie darüber, mit welcher Begründung er verhaftet wurde. Ein Zusammenhang mit seiner Homosexualität ist aber sehr wahrscheinlich.

Rund ein Jahr später, am 30.5.1940, wird O’Montis schließlich unter der Häftlingsnummer 25131 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Als Häftlingskategorie wird in den Lagerakten "Schutzhäftling § 175" notiert. Eine einschlägige Vorstrafe ist nicht bekannt, aber auch nicht ausgeschlossen, denn Homosexuelle werden in der Regel erst nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen Verstoßes gegen den § 175 ins Konzentrationslager überstellt. Inwieweit auch politische Gründe eine Rolle spielen für O’Montis KZ-Einweisung, zum Beispiel sein subversiver Witz, bleibt offen.

Paul O'Montis wird in Block 35 eingewiesen, der zur sogenannten „Isolierung“ gehört. Dabei handelt es sich um sechs Häftlingsbaracken, die vom restlichen Lager mit einem Zaun abgetrennt sind. Neben Homosexuellen werden hier auch so genannte „Bibelforscher“, also Zeugen Jehovas gefangengehalten. Paul O'Montis ist nun dem täglichen SS-Terror ausgeliefert, der in der Isolierung ganz besonders grausam ist. Die Blockführer der SS, oft aber auch die Blockältesten, bei denen es sich um Häftlinge handelt, erproben immer neue Quälereien und Folterpraktiken.

Besonders perfide sind die angekündigten Morde, ein Schicksal, das auch Paul O’Montis trifft. Wenn der Blockführer beim Appell sagt: „Dieses Schwein möchte ich morgen nicht mehr sehen“, ist das das Todesurteil. Die Blockältesten morden mitunter aber auch aus eigenem Antrieb. Aus einer eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen politischen Häftlings Robert Brink ist bekannt, was Paul O’Montis erleben musste:

„Im Block 35 befanden sich die Homosexuellen. [...] Der Blockälteste [...] mordete dauernd Leute in seinem Block. Weder die Lagerleitung noch die SS in der Isolierung boten diesem Treiben Einhalt. Mir als Lagerältestem der Isolierung war es von dem Leiter der Isolierung, Bugdalle, wie auch von den SS-Leuten Knittler und Ficker wiederholt streng untersagt worden, mich um diese Angelegenheiten zu kümmern. Eines Sonntagnachmittags kam der bekannte Vortragskünstler, genannt Paul Remontes, zu mir und bat mich um meinen Schutz, da ihm von Seiten des Blockältesten Ruppel angedroht worden war, er würde in der kommenden Nacht erledigt werden. Ich besprach die Sache mit meinem Vertrauten und Stubenältesten Paul Bonnemann. Bis in die Nacht haben wir beide heimlich zusammengesessen und beratschlagt, wie dem Burschen sein mörderisches Handwerk gelegt werden könne. Das Ergebnis war folgendes: Unter eigener Lebensgefahr ging ich am nächsten Tag, durch den in der Nacht tatsächlich erfolgten Mord an Paul Remontes erbittert und ermutigt, zu Bugdalle hin“.

Robert Brink gelingt es tatsächlich, die Ablösung Ruppels zu erreichen. Für Paul O'Montis jedoch ist dies aber keine Hilfe mehr. Im Sterberegister des Standesamtes Oranienburg findet sich als Eintrag 3312: „Paul Wendel, 17.7.40, 2 Uhr. Freitod durch Erhängen“.

Literaturtipp:

Ralf Jörg Raber: „... elegant gekleidet und graziös in seinen Bewegungen“. Der Sänger Paul O'Montis. S. 207-210 in: Müller / Sternweiler: Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen. Berlin 2000: Rosa Winkel.

Joachim Müller: „Wohl dem der hier nur eine Nummer ist“. Die Isolierung der Homosexuellen. S. 89-108 in: Müller/Sternweiler: Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen. Berlin 2000: Rosa Winkel.

Alexander Zinn: »Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link zum Buchtipp

© Alexander Zinn 2017