Im Gestapo-Verhör gesteht der 17-jährige Scholl die Annäherungsversuche
sofort ein. Man hält ihm einen Verstoß gegen § 175a
vor, weil er einen ihm anvertrauten Jugendlichen verführt habe.
Scholl wird verhaftet und ins Stuttgarter Polizeigefängnis
eingeliefert, am 15. Dezember erlässt das Amtsgericht dann
einen Haftbefehl. Sein Anwalt legt am 18. Dezember Haftbeschwerde
ein, doch Scholl bleibt im Gefängnis und wird am 21.12. nochmals
von der Gestapo zu den bündischen "Umtrieben" im
Jungvolk vernommen. Am 30. Dezember hebt das Landgericht den Haftbefehl
schließlich auf, weil Scholl wegen der "zugegebenen Unzucht
unter Männern seinen Truppenteil nicht unbefugt verlassen wird"
und kein "Vergehen verbotener bündischer Betätigung"
vorliege.
Am 7.5.1938
erhebt die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Stuttgart schließlich
Anklage gegen Scholl wegen Verbrechen nach § 175a und verbotener
bündischer Betätigung. Das Sondergericht stellt das Verfahren
wegen bündischer Betätigung ein. Auch einen Verstoß
gegen § 175a sieht das Gericht nicht, da der Altersunterschied
der Beteiligten zu gering sei und die "Erziehereigenschaft
des Scholl" deswegen "zu verneinen" sei. Allerdings
sieht das Gericht einen Verstoß gegen den 1935 verschärften
§ 175 als gegeben an. Da die meisten Handlungen aber vor der
Verschärfung des Paragrafen stattfanden und dem damals 16-jährigen
Scholl nicht nachgewiesen werden könne, dass er in der Lage
war, "das Ungesetzliche seiner Handlungen einzusehen",
wird er schließlich nur für eine zu Ostern 1936 begangene
Handlung zur Rechenschaft gezogen. Und auch hier hat er Glück,
denn wegen der zu erwartenden geringen Strafe wird das Verfahren
schließlich nach dem Straffreiheitsgesetz vom 30.4.1938 eingestellt.
Das Gericht zeigt im Fall von Scholl Milde, nicht zuletzt, weil
"das Verhalten des damals 17-jährigen Angeklagten als
jugendliche Verirrung eines sonst anständigen und auch geschlechtlich
normal empfindenden Menschen angesehen" wird.
Für Scholl
jedoch ist das ganze Verfahren eine Zäsur, die ihm den Unrechtscharakter
des NS-Systems drastisch vor Augen führt. Er wendet sich vom
Nationalsozialismus ab und geht schließlich in den Widerstand.
Inzwischen Medizinstudent an der Münchner Universität,
gründet er mit seiner Schwester Sophie und einigen anderen
Studenten 1942 die Widerstandsgruppe Die Weiße Rose.
Die Gruppe verbreitet sechs Flugblätter, in denen sie zum "passiven
Widerstand" gegen das NS-Regime aufruft.
Am 18.2.1943
wird Hans Scholl, als er zusammen mit seiner Schwester Sophie Flugblätter
verteilt, vom Hausmeister der Münchner Universität entdeckt
und an die Gestapo verraten. Der Volksgerichtshof verurteilt die
Geschwister zusammen mit Christoph Probst, dessen Entwurf für
ein siebtes Flugblatt bei Hans Scholl gefunden wird, am 22. Februar
zum Tode. Die Hinrichtung erfolgt noch am selben Tag. Drei weitere
Mitglieder der Gruppe, Alexander Schmorell, Willi Graf und der Universitätsprofessor
Kurt Huber, werden am 19.4.1943 zum Tode verurteilt und ohne Aufschub
hingerichtet.
Nach 1945 werden
die Geschwister Scholl und die Widerstandsgruppe der Weißen
Rose zu einer Legende. Die homosexuellen Handlungen, die zum ersten
Prozess gegen Hans Scholl führten, werden hingegen schamvoll
verschwiegen. Erst in einer Publikation aus dem Jahr 2012 wird dieser
Aspekt seiner Biografie beleuchtet.
Literaturtipps:
Ulrich Herrmann:
Vom HJ-Führer zur Weißen Rose. Hans Scholl vor dem
Stuttgarter Sondergericht 1937/38. Weinheim 2012: Beltz Juventa.
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
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